Berliner Institut für lösungsorientierte Arbeit   

Logo-Menschen


Die systemisch fundierte »lösungsorientierte Sachverständigentätigkeit« im Familienrecht



Zusammenfassung


Im klassischen Verständnis der Sachverständigentätigkeit im Familienrecht soll ein Gutachten dem Gericht darüber Auskunft geben, welcher Elternteil mit seinen individuellen Entwicklungsmöglichkeiten für das gemeinsame Kind die bessere Wahl ist. Durch diese Methodik wird zwangsläufig die Familie in Verlierer und Gewinner ge- spalten, was in vielen Fällen zu einer weiteren Konfliktverschärfung führt. Die Einfüh- rung des FamFG im September 2009 hat dies verändert. Dem Sachverständigen obliegt es seitdem, auf ein Einvernehmen der Eltern hinzuwirken. Es stellt sich dem Sachver- ständigen nun aber die Frage, wie er diesen Auftrag umsetzen soll. Mit einer systemisch fundierten lösungsorientierten Arbeit, die auf dem systemtheoretischen Ansatz von Familie basiert, ist dies möglich. Sie stellt in ihrer Konzeption das konsensuelle Einver- nehmen der Elternteile in den Mittelpunkt und verzichtet auf jegliche Statusdiagnostik. Diese Konzeption ist seit langem bekannt, hat sich aber bis heute leider nicht durchge- setzt.


1 Einleitung


Am 1. September 2009 hat der Gesetzgeber mit der Einführung des FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) das Tätigkeitsfeld des psychologischen Sachver- ständigen im Familienrecht erweitert. Zuvor war der Sachverständige durch die Verfahrensordnung (ZPO) darauf beschränkt, mit Hilfe seines Sachverstandes einen Entscheidungsvorschlag für das Gericht zu erarbeiten. Nun gibt das FamFG dem Gericht die Möglichkeit ; ergänzend zum Gutachtenauftrag anzuordnen, dass der Sachverständige bei der Erfüllung des Gutachtenauftrages auch auf die Herstellung des Einvernehmens zwischen den Beteiligten hinwirken soll.


Schon lange Zeit vor Einführung des FamFG mahnte Jopt (Bergmann, Jopt u. Rexilius, 2002) an, dass die vorherrschenden Konzeptionen und Methoden, deren sich Sachverständige im Familienrecht bedienten und bedienen, den Bedürfnissen der Nachscheidungsfamilie nicht gerecht werden können. Durch die Methodik wird zwangsläufig die Familie in Prozessverlierer und -gewinner gespalten, was in vielen Fällen zu einer weiteren Konfliktverschärfung führt. Er schlug eine auf dem systemtheoretischen Ansatz von Familie (Bateson, 1981; von Schlippe, 1981) basierende Sachverständigentätigkeit vor, die er damals »lösungsorientiert« nannte. Im Fokus steht in dieser Konzeption das konsensuelle Einvernehmen der Elternteile.


Seit Einführung des FamFG gibt es mehrere Konzepte, die versuchen, der »neuen« Rolle des Sachverständigen gerecht zu werden, und sich zum Teil »lösungsorientiert« nennen. Die Unterschiede in den Konzeptionen und die Skiz- zierung einer systemisch fundierten »lösungsorientierten« Sachverständigentä- tigkeit sollen Gegenstand dieses Beitrags sein.


2 Entwicklung der »lösungsorientierten Sachverständigentätigkeit«


In der Vergangenheit und auch überwiegend noch heute sehen sich die meisten Sachverständigen als ausschließlich passive Entscheidungshelfer. Diese klassi- sche Ausrichtung mit ihrem Anspruch an Objektivität und wissenschaftlicher Darstellung (Verschriftung des Gutachtens) hat als zentralen Aspekt die »richtige« Auswahl eines Elternteils zum Ziel. Um diese Auswahl so objektiv wie möglich zu gestalten, werden unter anderem testpsychologische Methoden ver- wendet und diese von einem »neutralen« Sachverständigen durchgeführt. Die Haltung des Sachverständigen ist die eines Versuchsleiters und basiert auf einem mechanistischen Menschenbild. Mit Bezug auf die Ergebnisse legt der Sachver- ständige dem Gericht seine Empfehlung vor. Die Interaktion des Sachverstän- digen mit den Eltern ist auf Grund der geforderten Objektivität der Untersu- chungsergebnisse auf ein Minimum beschränkt. Dieser Ansatz wird allgemein als »entscheidungsorientiert« bezeichnet.


Mit der Änderung des Verfahrensrechtes soll der Sachverständige »auch« auf das Einvernehmen der Eltern hinwirken. Um diesen zusätzlichen Auftrag in- nerhalb des Gutachterprozesses zu erfüllen, ergänzt der klassische Sachverstän- dige sein Vorgehen mit neuen Methoden und Techniken. Aktuell wird darunter unter vielen Kollegen eine Aufspaltung des Gutachtenprozesses verstanden. Der Sachverständige versucht als Erstes mit den Eltern ein einvernehmliches Konzept zu erarbeiten und wenn dies scheitert, erarbeitet er auf Grundlage seiner im Vorfeld oder danach erhobenen Daten einen Entscheidungsvorschlag für das Gericht (Salzgeber, Fichtner u. Bublath, 2011; Wagner u. Balloff, 2009). Dieses Vorgehen wird von einigen Kollegen als »Lösungsorientierung« verstanden, da der Begriff hier wörtlich interpretiert wird. Dementsprechend könnten dann sämtliche Interventionen im Familienrecht darunter subsumiert werden, da »alle Arbeitsformen im familienrechtlichen Bereich irgendeine Art von Problemlö- sung anstreben, und sei es auch eine Lösung durch gerichtliche Entscheidung« (Offe, 2009, S. 232). Ziel ist es, dem Gericht ein Ergebnis zu präsentieren, ent- weder durch die Einigung der Eltern oder beim Scheitern durch die Auswahl des »Besseren«. Was dieser Ansatz versucht, ist, mit einer Art »Zwittermodell« den alten klassischen Ansatz einer »Selektionsdiagnostik« formal in die neue Wirk- lichkeit des FamFG zu überführen. Will sich der Sachverständige nach diesem Konzept im Bemühen um eine Einigung der Eltern systemischer Konzepte be- dienen, kommt bei einem Scheitern des Lösungsversuches ein Haltungs- und Rollenwechsel auf ihn zu. Dieser Wechsel wird von einigen Kollegen als kritisch gesehen. Im Folgenden möchte ich diesen Ansatz nicht »lösungsorientiert« nen- nen, sondern »ergebnisorientiert«.


Im Mittelpunkt des »lösungsorientierten« Konzeptes von Jopt (Bergmann et al., 2002) steht im Fokus des Gutachtenprozesses das Kind mit seinen Bedürfnis nach uneingeschränktem Zugang zu beiden Elternteilen. Davon ausgehend sieht er die Herstellung von Einvernehmlichkeit zwischen den Eltern als zentrale Aufgabe seiner Tätigkeit. In Bezug auf diese Aufgabe werden alle Beziehungen und Kontextbedingungen für das Kind in Zusammenarbeit mit den Eltern und anderen Beteiligten exploriert. Der »lösungsorientierte« Sachverständige bedient sich dabei einer Diagnostik, die defizit- und ressourcenorientiert ist (Tren- nungsdynamik, kindliche Instrumentalisierung, Bindungstoleranz, Kooperati- onsfähigkeit, Erziehungsdefizite bei Beurteilungen von Kindeswohlgefährdungen, soziales Unterstützungssystem u.a.), und einer systemischen Prozessdia- gnostik. Ziel ist es, auf Grundlage dieser Ergebnisse die Eltern dabei zu unter- stützen, konsensuelle Konzepte zur Gestaltung der Nachscheidungs-/Tren- nungsfamilie umzusetzen. Wenn dieses Vorhaben scheitert, wird der Elternkon- sens als oberstes Ziel nicht aufgegeben, sondern mit der Erarbeitung eines Ge- staltungsvorschlages für das Gericht, der auf dem gleichem ganzheitlich- gestalterischen Konzept beruht wie das gesamte Vorgehen, fortgeführt (vgl. Jopt, 2012).


Ähnlich wie es de Shazer und andere vertraten, ging Jopt davon aus, dass externe »Ratschläge« meist dann in Form von gerichtlichen Beschlüssen beim Klienten nie die Wirkung erzielen können, wie es eigene Ideen und Lösungen der Klienten vollbringen können. Aufgrund des veränderten Menschenbildes begreift sich der Sachverständige auf Augenhöhe mit den Klienten und Beteiligten. Er sieht die Eltern als Experten für ihre Kinder und den gut funktionierenden fa- miliären Lösungen. Seinen Sachverstand macht er nicht mehr an formalem dia- gnostischem Wissen fest, sondern eher an für die Situation des Kindes relevantem Wissen (umfangreiche Kenntnisse aus der modernen Scheidungsforschung, sys- temisches Wissen über familiäre Konfliktstrukturen, psychologisches Wissen über Trennungsdynamiken, therapeutisches Wissen über den Aufbau belastbarer Be- ziehungen und Erfahrungen darüber, dieses Wissen für einvernehmliche Lösun- gen zu nutzen). Das durch die Stellung im Prozess vorhandene Hierarchiegefälle versucht er in Hinblick auf eine erfolgreiche Beziehungsgestaltung abzubauen. Sein Verantwortungsbereich geht allerdings über das eines Beraters im Tren- nungskonflikt hinaus. Da er seinen Fokus in allererster Linie auf die Bedürfnisse des Kindes legt, ist es ihm auch möglich und das unterscheidet ihn vom Berater, Mediator oder Therapeuten, die Eltern gegebenenfalls zwangsweise mit Hilfe des Gerichtes in ihrer elterlichen Verantwortung zu unterstützen (siehe auch Kapi- tel 5.1). Der lösungsorientierte Sachverständige ist kein Therapeut, Berater oder Mediator der Eltern. In den meisten Fällen sind bei einer Beauftragung durch das Gericht diese Interventionen schon gescheitert. Er bedient sich aber im Sinne eines kritischen Eklektizismus an nützlichen Interventionen und Konzeptionen aus diesen Bereichen und integriert sie in den ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen Rahmen. Diesen Ansatz möchte ich im Weiteren »lösungsorientiert« nennen.


3 Theoretische Einordnung der lösungsorientierten Sachverständigentätigkeit als systemisches Arbeitsfeld


Der Begriff lösungsorientierte Sachverständigentätigkeit kann tatsächlich auch für systemisch arbeitende Fachkräfte irreführend sein, da nach der Konzeption von Jopt (Bergmann et al., 2002) in diesem Konzept eben nicht nur die lösungs- orientierte Perspektive der systemischen Therapie einfließt. Auch »die systemische Therapie« gibt es nicht, wie von Schlippe und Schweitzer (2007) anmerkten. Vielmehr verstehen sie darunter einen Oberbegriff über verschiedene Modelle, Verfahren und Konzepte. Um trotzdem eine Einordnung der lösungsorientierten Sachverständigentätigkeit in den systemischen Kosmos vornehmen zu können, werde ich die Sichtweise von Wienands (2005) übernehmen, der von acht von- einander unterscheidbaren Perspektiven der systemischen Therapie und Bera- tung ausgeht. Im Folgenden werde ich die für die systemische Sachverständig- enarbeit besonders relevanten Perspektiven und ihre Schnittmengen vorstellen. Auf die Auseinandersetzung mit der mehrgenerationalen, erfahrungsorientierten und phänomenologischen Perspektive will ich verzichten, da diese nicht zwingend erforderlich für eine eindeutige Einordnung der systemischen Sachverständig- enarbeit im Familienrecht sind.


3.1 Strategisch-lösungsorientierte Perspektive


Der Problemlöseansatz geht davon aus, dass das Problem genau der Klage des Klienten entspricht. Die Wahrnehmung des Klienten auf die Konfliktstruktur, die auslösenden Faktoren für die Problemkonstellation und die eigenen Verhal- tensanteile sind maßgeblich. Die Wahrnehmung des Sachverständigen spielt in dieser ersten Phase keine Rolle. Damit wird vermieden, dass die Grenzen und die Autonomie des Klienten überschritten und eigene Anteile, dass heißt Erfahrun- gen aus der eigenen Biographie, in die Wahrnehmung über den Klienten ein- fließen. Der Klient wird in seiner Elternverantwortung belassen, das heißt, er wird von Anfang an als kompetent betrachtet. Dies entspricht dem in der Verfassung garantierten Schutz der elterlichen Rechte zur Erziehung ihrer Kinder. Der Fokus wird auf die Erfassung spezifischer Interaktionsmuster gerichtet, um unter anderem eine individuelle Konfliktstruktur zu erkennen. Diese Konfliktstruktur wird als gegenseitiger Einfluss auf die Gestaltung der Beziehungen untereinander wahrgenommen, welche zu Problemen führt, die einer oder alle wahrnehmen.


In der lösungsorientierten Perspektive werden Lösungen als Veränderungen auf der Verhaltens- oder Wahrnehmungsebene verstanden, die gemeinsam mit dem Klient gewonnen werden und zur Veränderung mit dem Umgang von Pro- blem- oder Konfliktmustern führen sollen (de Shazer, 2011). Der lösungsorien- tierte Sachverständige nutzt dabei das, was ihm die Klienten an Einstellungen, Meinungen, Motivationen anbieten, und geht mit ihm zusammen auf einen Suchprozess nach funktionierenden Interventionen. Er attribuiert Zweifel oder Widerstände des Klienten nicht auf den Klienten selbst, sondern auf sich und versucht seine Hilfestellung dann besser an den Klienten anzupassen. Kurz ge- sagt: Der Widerstand des Klienten wird nicht diagnostisch genutzt, sondern be- graben (vgl. de Shazer, 2011).


3.2 Wachstumsorientierte Perspektive


Grundlage des lösungsorientierten sachverständigen Handelns ist es, die Eltern bei der Gestaltung einer kindeswohlgerechte Nachtrennungsfamilie zu unter- stützen. Dieser Ansatz ist gut mit dem gerichtlichen Auftrag dem Hinwirken des Sachverständigen auf Einvernehmlichkeit vereinbar, und zwar dann, wenn mit diesem Auftrag auch eine Nachhaltigkeit der »neuen« elterlichen Einigkeit ver- bunden ist. Diese Nachhaltigkeit lässt sich eben nicht durch eine Entscheidung durch eine übergeordnete Ebene oder durch eine auf Ergebnisse fokussierte Sachverständigenempfehlung erreichen. Eine solche Einigkeit, die auch zu- künftig die zerstrittenen Eltern in die Lage versetzt, selbstständig und gemeinsam rechtsschöpferisch tätig zu werden, gelingt nur, wenn sie in ihrer elterlichen Verantwortung wachsen.


Als Begründerin der wachstumsorientierten Familientherapie kann Virgina Satir gesehen werden. Sie erkannte, dass eine heilende therapeutische Arbeit nur in einer liebevollen und von Inkongruenz befreiten Beziehung zum Klienten erfolgreich sein kann. Wienands (2008) führt dazu aus, dass eine solche heilende Beziehung, die den Klienten zu seinem intuitiven Wissen und seinen ureigenen Ressourcen führt, nur gelingen kann, wenn es der Therapeut vermag, seinen Klienten mit all seinen Eigenschaften anzunehmen.


Dies klingt auf den ersten Blick unvereinbar mit der Rolle des Sachverstän- digen im Familienrecht. Aus der Sicht einer »prüfenden« externen Instanz, die sich ihre Objektivität dadurch erhalten will, dass sie sich nicht mit den Wahr- nehmungen und Bedürfnissen der Klienten verflicht und sich zu allererst als »Berichterstatter« für das Gericht wahrnimmt, mag das stimmen. Ein auf Nach- haltigkeit ausgelegtes Hinwirken auf Einvernehmlichkeit wird aber durch eine solche Haltung nicht erreicht. Um das bewirken zu können, bedarf es einer guten Beziehung. Diese kann aber wiederum nur durch Nähe und Vertrauen aufgebaut werden. In einer Untersuchung von Zütphen (2010) konnte das Merkmal »durch die Eltern empfundenes Vertrauen zu Sachverständigen« als der wichtigsten Faktor bei erfolgreichen Einigungsversuchen bestätigt werden.


3.3 Strukturelle Perspektive


Interventionen aus struktureller Perspektive sollen die Beziehungsmitglieder wieder in Beziehung bringen und einen Kontext schaffen, in dem konstruktive Interaktionen möglich sind.


In Sorge- und Umgangsstreitigkeiten haben wir es fast ausnahmslos mit dys- funktionalen Interaktionsmustern zu tun. Ein typisches Muster ist das der In- terpunktion. Darunter wird eine Konfliktkommunikation verstanden, die aus einer sehr unterschiedlichen Wahrnehmung von Trennung verbunden mit einer fehlenden oder unzureichenden gemeinsamen Auseinandersetzung mit den individuellen Interpretationen des Geschehens entsteht. Eltern mit diesem Kon- fliktmuster versuchen ihr eigenes Verhalten rückbezüglich durch das vermeintlich auslösende Verhalten des anderen zu rechtfertigen und sehen sich selbst meist als der Reagierende (das Opfer). Ihr eigener Anteil an den Ursachen oder der Verschärfung des Konfliktes kann dann schwer wahrgenommen werden. In den meisten Familienstreitigkeiten werden die professionellen Helfer mit diesen Argumentationsketten konfrontiert. Charakteristisch an der Interpunktion ist, dass sie von Außenstehenden immer als relativ schlüssig und nachvollziehbar gesehen und so der Schuldige auf der anderen Seite vermutet wird. Das führt oft dazu, dass sich in einem solchen Streit schnell Lager bilden können (Großeltern, Freunde, Kinderärzte etc.), die dann im jeweils anderen den Schuldigen sehen und so die Logik des Konfliktes unterstützen. Die Eskalation kann durch die Lager- bildung noch wesentlich verschärft werden (vgl. Glasl, 2011).


Im gemeinsamen Gespräch zwischen den Eltern und dem Sachverständigen werden die individuellen Sichtweisen, Überzeugungen und Wahrheiten in das System geholt. Ganz der strukturellen Perspektive verpflichtet, bleibt der Sach- verständige dabei bei dem, was die Eltern äußern. Er rückt ihre momentanen Interaktionsdynamiken in den Mittelpunkt. Die Eltern kommen gegenseitig mit ihren Problemlösestrategien in Kontakt. Der Sachverständige wird versuchen, durch »Streicheln und Treten« Konflikte zu aktivieren (»Ich bin beeindruckt von Ihren elterlichen Kompetenzen, was Sie für großartige Ressourcen für Ihre Kin- der darstellen, toll! Und ich bin beeindruckt davon, wie Sie es schaffen, den jeweils anderen als Ressource für Ihre Kinder zu zerstören!«) – ganz im Unter- schied zu vielen Beratungs- oder Mediationssettings im Trennungs- und Schei- dungskontext, die eher daran orientiert sind, Konflikte zu verbergen oder zu verschleiern.1 Im Rahmen einer guten Beziehung zu den Eltern ist es möglich, sie auf unsanfte Art aus ihrer Problemtrance herauszuführen. Ziel ist es, die Wahr- nehmung in Abhängigkeit ihrer Konfliktmuster soweit zu verstören, dass ihnen ein Rückgriff auf alte Verhaltensmuster schwer fällt und sie sich für neue öffnen (vgl. Minuchin u. Fishman, 1985).


3.4 Zirkuläre/interventionsbezogene Perspektive


Interventionsbezogene Ansätze wie das Mailänder Modell haben in ihrer Ge- schichte verschiedene Phasen durchlaufen. Von einer eher von Macht geprägten Vorstellung der Rolle des Therapeuten wurde es zu einem Modell weiterentwi- ckelt, dass den Klienten und den Therapeuten auf derselben Stufe verortete.


Diese Entwicklung im Großen vollzieht sich in der lösungsorientierten Sachver- ständigentätigkeit im Kleinen. In der Tätigkeit als Sachverständiger im Famili- enrecht wird man mit der Tatsache konfrontiert, dass die Rolle des Sachver- ständigen im Verhältnis zu anderen Verfahrensbeteiligten, mit Ausnahme des Richters, mit ungewöhnlich viel Einfluss versehen ist. Der lösungsorientierte Sachverständige kann sich dies zunutze machen.


Im gemeinsamen Elterngespräch sind zirkuläre Fragen ein gutes Mittel, um den schon erwähnten Perspektivenwechsel der Eltern anzuregen. Des Weiteren ist es durch die direkte Konfrontation der Eltern möglich, durch den jeweils anderen Korrekturen vornehmen zu lassen. So können sie beide zugleich einen Perspektivenwechsel vornehmen. Aber nicht nur für die gegenseitigen Perspek- tiven können diese Fragetechniken nützlich sein, sondern auch dafür, dass die Eltern es schaffen, sich in ihr Kind einzufühlen. Augenscheinlich geht es allen Eltern um das Wohl ihrer Kinder. Doch vernebelt der eskalierte Elternkonflikt sehr oft die Sicht auf das gemeinsame Kind.


3.5 Narrative Perspektive


Ein großes Stück unserer Kommunikation besteht aus Geschichten. Wir präsen- tieren uns unserem Gegenüber mit einer Abfolge von Geschichten aus unserem Leben und aus unserer Art, die Welt wahrzunehmen. Der narrative Ansatz geht davon aus, dass die Geschichten, die wir über uns erzählen, nicht nur unseren Gegenüber beeinflussen, sondern zuallererst uns selbst. Geschichten bauen in sozialen Systemen Realitäten auf. Warum, wieso und weshalb der Umgangssu- chende keinen kindgerechten Umgang mit seinem Kind aufbauen kann, ist die Geschichte des betreuenden Elternteils. Sie ist für diesen Elternteil real und wird durch das ständige Wiederholen bei der Erziehungsberatungsstelle, beim Ju- gendamt, bei Gericht, beim Verfahrensbeistand und vielleicht auch noch beim Umgangspfleger und beim Sachverständigen immer manifester. Das diese immer realer für den betreffenden Elternteil wird, hat viele Ursachen. Zum einen wollen wir Erlebnisse, die nicht in die Geschichte passen – wie positive Erfahrungen –, negieren. Nicht, weil der betreffende Elternteil eine Lüge für sich nutzen will, sondern weil er »richtig« verstanden werden will. Zum anderen soll die Ge- schichte aber auch für uns so schlüssig wie möglich sein, nicht weil der betreffende Elternteil bewusst den anderen als Lügner darstellen will, sondern weil er auch eine Bestätigung für sein Handeln und die ganze Mühe braucht.


In diese Geschichten können wir eine neue Facette einbringen, indem durch Fragen nach Positivem oder nach gut Gelungenem die Geschichten aktiv um- formuliert werden. Wenn in diesen Situationen der Fokus auf Konkretheit gelegt wird (Wie war das genau? Was hat gut geklappt?), können wir die Klienten unterstützen, ihre Geschichte neu zu erzählen und so aktiv umzugestalten. Die Aufgabe des Sachverständigen ist, die Eltern dabei zu begleiten, ihre Geschichten in einer dem Kindeswohl besser entsprechenden Richtung zu erzählen. Man kann dagegen einwenden, dass dies eine Manipulation darstellt. Dem können wir be- gegnen, indem wir einzig und allein die Angebote (seine positiven Erfahrungen) des Klienten verwenden und diese einbauen. So manipulieren wir ihn nicht, sondern begleiten ihn dabei, wie er seine eigene Geschichte nützlich korrigiert. Voraussetzung ist, dass er über diese Erfahrungen verfügt oder dass er relevantes Wissen von uns annehmen kann.


Die »neuen Geschichten« vergrößern zudem den Handlungsspielraum der Eltern. Sie befinden sich nicht nur auf Grund gemeinsam gemachter Erfahrun- gen, sondern auch wegen ihrem gemeinsamen Konflikt in einem verschränkten Zustand.2 Dieser Zustand macht sie im aktuellen Kontext abhängig voneinander. Nach Bateson bestimmt sich die Interpretation von Ereignissen durch den Kon- text, in dem sie gemacht wurden (Bateson, 1980). Bevor ein Mensch sich über seinen Zustand, beispielsweise seine emotionale Befindlichkeit, bewusst wird, hat er alle Informationen aus seinem gesamten Leben zur Verfügung. Die Bewusst- werdung selbst reduziert den Möglichkeitsraum auf ein Mindestmaß. Sie stellt eine Messung des Zustandes im aktuellem Kontext dar und ist durch diesen definiert (Görnitz, 2006). Es ist also nicht nur der Kontext, in dem die Erfah- rungen gemacht wurden, relevant für die Interpretation, sondern auch der Kon- text, in dem sie erinnert werden. Im gemeinsamen Gespräch agieren und rea- gieren die Eltern immer bezogen auf den jeweils anderen. Dabei analysieren sie ihre eigenen Zustände immer im Bezug auf den anderen und den Kontext. Die Kompetenzen und Möglichkeiten der Eltern als Individuen treten in den Hin- tergrund.


In ihrem verschränkten Zustand interpretieren Eltern die Absicht des anderen aus ihren alten Erfahrungen, aber auch aus ihrem aktuellen emotionalen Zustand heraus. Neue Geschichten können ihren Möglichkeitsraum wieder öffnen, indem sie den Eltern nicht nur neue Perspektiven aufzeigen, sondern es ihnen auch ermöglichen, in dem zuvor unbekannten Kontext des gemeinsamen Gesprächs beim Sachverständigen neue emotionale Zustande anzunehmen. Umso abstruser die Geschichten sind, umso größer ist die Bandbreite an Zuständen, die sie her- vorrufen können – mit der Einschränkung, dass auch die unwahrscheinlichsten Geschichten sie auf irgendeine Art erreichen müssen.


Im weitestem Sinne kann auch das schriftliche Gutachten eine Wirkung aus narrativer Sicht entfalten. In seiner klassischen Form soll es den Lesenden transparent erklären, worauf sich eine bestimmte Empfehlung vom Sachver- ständigen aufbaut. Bei gerichtlichen Fragen nach dem besseren Lebensumfeld berichtet der klassische Sachverständige von Defiziten der Eltern oder formuliert sogar psychiatrische Diagnosen. Auch das sind Geschichten, die dann, sollte der Richter der Empfehlung des Sachverständigen folgen, öffentlich »Im Namen des Volkes« zur Realität werden. Dass wegen solcher an Defiziten orientierten, re- duktionistischen schriftlichen Gutachten einzelne Menschen oder gesamte Fa- milien zerstört wurden, ist aus systemischer Sicht gut nachvollziehbar.


4 Konzept einer systemisch fundierten lösungsorientierten Sachverständigentätigkeit


Jede Familie ist individuell und ihre Familienmitglieder sind einzigartig. Die Konflikte, die sie beschreiben, sind demnach ebenso einzigartig. Ein starres Konzept wird niemals so nützlich sein können wie ein Konzept, dass durch seine Flexibilität den Prozesscharakter der Begutachtung betont. Hinzu kommt, dass jeder Praktiker durch ein authentisches, empathisches und wertschätzendes Auftreten am ehesten für Klienten nützlich sein kann (vgl. Rogers, 1983). Um diese geforderte Authentizität zu erreichen, muss sich auch der Sachverständige aus seinen eigenen Quellen bedienen und erprobte Techniken und Methoden anwenden können. Jeder Sachverständige wird auf einen anderen Erfahrungs- hintergrund zurückgreifen und anderes Wissen durch verschiedenste Weiterbil- dung sein Eigen nennen können. Aus diesen Gründen wird es für den Sachver- ständigen nötig sein, die Prozessstruktur der Begutachtung an diese individuellen Rahmenbedingungen anzupassen.


Um dennoch Orientierung zu bieten, will ich mich in den folgenden Ausfüh- rungen an das von Behrend (2011) vorgestellte Schema als Basis benutzen. Auf eine ausführliche Darstellung des Vorgehensmodell möchte auf Grund der be- schränkten Möglichkeiten eines kurzen Artikels verzichten.


4.1 Einzelgespräche, Kinderexploration und Interaktionsbeobachtung


Einzelgespräche mit jedem Elternteil stehen am Anfang des Begutachtungspro- zesses. »Sie dienen dazu, sich in die persönliche Problemsicht des Gesprächs- partners, in seine ›subjektive Wahrheit‹ einzufühlen« (Behrend, 2011, S. 200). Um dieses Ziel zu erreichen, ist es notwendig, dass der Sachverständige eine aus der lösungsorientierten Perspektive bekannte »nichtwissende« Haltung einnimmt (de Shazer, 2011). Mit dieser professionellen Haltung wird es dem Sachverstän- digen möglich, trotz eigener Involvierung objektivierbare Äußerungen zu erhal- ten. Die Aussagen sind insoweit objektiv, da zumindest Einstellungen, Erfah- rungen und Annahmen vom Sachverständigen selbst diese Aussagen nicht ver- zerren. Andere Möglichkeiten, um objektive Daten zu erfassen, wie standardi- sierte Fragebögen oder durchstrukturierte Interviews, können auf Grund ihrer Konstruktion individuelle Facetten nicht aufzeigen.


Der Fokus liegt auf die Herstellung von Rapport. Wenn der Sachverständige ernsthaft auf ein »Einvernehmen zwischen den Beteiligten hinwirken« will, muss er zu den Beteiligten eine vertrauensvolle Beziehung aufgebaut haben. Nach Zütphen (2010) ist das Vorhandensein von Vertrauen gegenüber dem Sachver- ständigen die wichtigste Bedingung für eine einvernehmliche Einigung zwischen den Eltern. In der lösungsorientierten Arbeit wissen die Eltern, dass der Sach- verständige zu allen Beteiligten eine vertrauensvolle Beziehung aufbaut. Die Eltern vertrauen also nicht darauf, dass der Sachverständige genau ihren Stand- punkt teilt, sondern darauf, dass er ihr System kennt und mit Fokus auf ihr/e Kind/ er sie dabei begleitet, langfristig tragbare Lösungen zu finden.


Als weitere Schritte sieht Behrend die Exploration der Kinder und eventuelle Interaktionsbeobachtungen zwischen den Kindern und ihren Eltern, um sich einen Eindruck über die psychische und sozial-emotionale Befindlichkeit des Kindes und von der Beziehungsqualität zwischen Kind und nicht betreuendem Elternteil zu machen (vgl. Behrend, 2011).


4.2 Gemeinsames Elterngespräch


Im gemeinsamen Elterngespräch verbinden sich strukturelle, strategisch-lö- sungsorientierte und narrative Interventionen. Im Mittelpunkt stehen das Aus- balancieren von Führen und Begleiten, von Verantwortung abgeben und über- nehmen. Es stellt in der lösungsorientierten Sachverständigentätigkeit das Herzstück dar.


Durch den Versuch, die kontroversen subjektiven Wahrheiten der Streitenden zu verzahnen, wird den Eltern die Möglichkeit gegeben, diese konkret zu korri- gieren. Dies ist den meisten Eltern bis dahin nicht möglich gewesen, da sie im hocheskalierten Elternkonflikt nicht das gemeinsame Gespräch gesucht haben. Kommunikation läuft in diesem Fall meistens medial oder über Rechtsanwälte. Die individuelle Interpretation der Erfahrungen, die in dieser Zeit gemacht werden, verdichten sich ohne eine Korrektur zu nicht mehr in Zweifel gezogenen Gewissheiten. Kleine Unstimmigkeiten werden in diesem Kontext durch Um- deutungen von vergangenen Erfahrungen ausgeglichen (vgl. Kapitel 3.3). Im gemeinsamen Elterngespräch wird der Sachverständige versuchen, die Pro- blemlösestrategien der Eltern ins System zu holen und sie daran zu hindern, in vertraute dysfunktionale Kommunikationsstrukturen zurückzukehren. Es ist die Aufgabe, die Eltern zu einem Perspektivenwechsel anzuregen. Umso mehr sie sich dabei in die Lage des anderen Elternteils hineinversetzen können, umso besser werden sie ihre Wahrnehmungen korrigieren können und für neue fremde Sichtweisen und eigene gute Lösungen offen sein. Eltern müssen nicht immer alles zusammen entscheiden, sie müssen nur die Konsequenzen gemeinsam tra- gen können. Und sie müssen es dürfen können!


4.3 Erprobung gefundener Regelungen oder Scheitern des Lösungsversuches


Ein dritter Schritt kann nach Behrend eine Erprobungsphase darstellen. Im Mittelpunkt stehen Interventionen aus der interventionsbezogenen und wachs- tumsorientierten Perspektive. Allen Beteiligten wird es ermöglicht, neue Erfah- rungen zu sammeln, in einem Kontext, zu dem alle Beteiligten bereit waren. Neue Regelungen können durch die Beteiligten ständig evaluiert werden. Die Eltern sind sich dabei der Begleitung des Sachverständigen bewusst. Er steht ihnen bei möglichen Änderungen oder Rückschritten zur Seite.


Wenn Eltern gefundene Regelungen in Begleitung ausprobieren, werden sie neue Erfahrungen machen können. Diese unterscheiden sich in der Regel er- heblich von denen davor. Vor dieser Probephase befinden sich die Eltern in einem am besten als »abgegrenzt« zu bezeichnenden Zustand. Ohne den Kontakt zum anderen Elternteil entwickelten sie ihre Problemlösestrategien allein darauf fo- kussiert, diesen Zustand zu stabilisieren. Im jetzt neuen als »verflochten« zu bezeichnenden Zustand machen sie Erfahrungen, die auf Gemeinsamkeit auf- bauen. Die von den Eltern erfahrene Begleitung durch den Sachverständigen hilft ihnen, die neuen Problemlösestrategien mit ihren Kompetenzen zu verweben und so eine neue Gesamtsituation zu entwickeln. Für ihre Kinder ist das eine generell neue Erfahrung. Haben sie sich zuvor in einem Switchingmodus befunden und wurden damit konfrontiert, jeweils zwei zum Teil diametral voneinander abwei- chende Kontexte oder Wahrheiten miteinander zu vereinbaren, erleben sie jetzt, wie sie gemachte Erfahrungen aus dem einen Kontext in den anderen überneh- men können. Es wird ihnen gestattet, eine Persönlichkeit zu leben und nicht mehr ihre Liebe, ihre Loyalität und ihre Bedürfnisse zu spalten.


Die Eltern müssen gemeinsame Erfahrungen machen. Es reicht nicht, ihnen »fremde« Erfahrungen vermitteln zu wollen, seien sie noch so »gut gemeint«. Dem Sachverständigen obliegt in dieser Phase die Rolle des Begleiters, nicht die einer »Übermutter« oder eines »Übervaters«. Er nimmt sich und sein Wissen aus dem Kontext heraus. Dieses Zurücknehmen begründet sich in dieser Phase aus der Haltung, dass es jeden Menschen möglich ist zu reifen, wenn bestimmte Blockaden wie eskalierende Konfliktmuster abgebaut sind.


Bei einem Scheitern des Lösungsversuches schwenkt der Sachverständige nicht auf eine »Selektionsdiagnostik« um, sondern versucht in dieser Phase, einen Elternkonsens durch das schriftliche Gutachten oder durch einen Anhörungs- termin bei Gericht zu erreichen. Ein Rollen- und Haltungswechsel wird nicht vollzogen. Aus diesem Grund unterscheidet sich die Verschriftung des Gutach- tens auch fundamental von der entscheidungs- oder ergebnisorientierten Be- gutachtung. Das heißt, dass der Sachverständige auch bei einem Scheitern auf psychologische Testverfahren für familienrechtliche Fragestellungen verzichtet. Nach Brickenkamp (2002) verfehlen diese Verfahren ohnehin die Gütekriterien für Testverfahren. Die oft bei schriftlichen Gutachten im Familienrecht zitierten Richtlinien des Bundes deutscher Psychologen (BDP) finden ebenso keine Anwendung. Ein »pseudowissenschaftlicher« Anstrich des Gutachtens bleibt also aus. Stattdessen wird im Gutachten unter anderem der bisherigen Prozess skiz- ziert, Konfliktmuster dargestellt und ausgeführt, warum die für den Gesetzgeber so wichtige konsensuelle Einigung den Eltern bisher nicht gelingen konnte. Der Hauptteil des Gutachtens besteht aus einem Gestaltungsvorschlag für die Nachscheidungsfamilie. In diesem werden Möglichkeiten beschrieben, durch welche weiteren Maßnahmen oder Interventionen (vom Gericht, Jugendamt oder anderer Institutionen) die Eltern dazu befähigt werden könnten, tragfähige Lö- sungen für ihre Familie zu erarbeiten. Ein dann oft nachfolgender Anhörungs- termin sollte dann dazu dienen, die Vorschläge aus dem Gutachten mit allen Beteiligten zu diskutieren, möglicherweise zu korrigieren und rechtlich umzu- setzen. Der Fokus beider Interventionen (Gutachten und Anhörungstermin) muss dabei darauf gerichtet sein, das Entstehen von Prozessverlierern und -ge- winnern zu verhindern.


5 Menschenbild, Haltung


5.1 Zwang, Macht, Ohnmacht und Verantwortung


Wenn der lösungsorientierte Sachverständige innerhalb seines Auftrages keine hinreichende einvernehmliche Regelung mit den Eltern erarbeiten kann, ist er gezwungen, dem Gericht seine Empfehlung für eine zukünftige Gestaltung des Sorge- oder Umgangsrechts und notwendige Interventionen zu unterbreiten. Diese Empfehlung kann den Charakter von Zwang annehmen. Aber auch im Zwang müssen Gestaltungsmöglichkeiten für die Eltern erhalten bleiben, da sonst bloße Macht ausgeübt wird und diese unweigerlich zu Ohnmacht bei zumindest einem Elternteil führt. Ohnmacht bei den Eltern auszulösen, ist aber genau das Gegenteil von dem, was der lösungsorientierte Ansatz bei gerichtlichen Ausein- andersetzungen erreichen will. Das heißt, dass auch die Verschriftung des Gut- achtens als Erstes dem Ziel der Einvernehmlichkeit folgen muss. Demnach ist auch das schriftliche Gutachten selbst eine oft letzte Intervention des Sachver- ständigen, den Konflikt zwischen den Eltern abzuschwächen. Richtlinien wie die des BDP, die das schriftliche Gutachten eher im Kontext von universitärer For- schung verorten, scheinen dafür eher ungeeignet. Ebenso sind auch die neuen Vorschläge zur Verschriftung von Gutachten im familienrechtlichen Kontext von Salzgeber et al. (2011) nicht dafür geeignet, Konflikte zwischen den Eltern zu mildern. Diese Vorschläge, wie auch schon die Richtlinien des BDP, manifestie- ren eine im schlimmsten Fall konfliktverschärfende Machtposition des Sachver- ständigen. Eine andere Möglichkeit, mit der Verschriftung des Gutachtens ver- antwortungsvoll im Sinne einer »Lösung« umzugehen, kann beispielsweise bei Jopt (2011) nachgelesen werden.


Auf der anderen Seite kann es nützlich für die Beteiligten sein, wenn der Sachverständige einen selbstreflektierten Umgang mit seiner Machtposition im Verfahren pflegt. Die zum Anfang von den meisten Beteiligten wahrgenommene hohe Machtposition des Sachverständigen kann dieser sukzessive an die Eltern abgeben. Erreicht werden kann dies mit Hilfe von Wissensvermittlung, offener Beteiligung der Eltern an dem Verlauf des Begutachtungsprozesses und zuneh- mender Aufgabenverteilung. Die Eltern werden sozusagen dabei begleitet, wie sie sich zu Sachverständigen für ihre Trennungskinder entwickeln. Durch das offensichtliche Abgeben der Verantwortung an die Eltern ist es ihnen oft am ehesten möglich, sich ihrer Selbstwirksamkeit gewahr zu werden und sie so in ihrer notwendigen rechtsschöpferischen Kompetenz zu stärken. Notwendig dafür ist die Haltung des Sachverständigen, Macht als Verantwortung zu verstehen.


5.2 Menschenbild


Die in der lösungsorientierten Sachverständigentätigkeit geforderte Verflechtung mit der individuellen Wahrnehmung der Klienten ist Grundvoraussetzung für eine allparteiliche Haltung des Sachverständigen. Dass es dabei zu keinen Ver- mengungen zwischen persönlichen Anteilen und Anteilen des Klienten kommt, sind zwei weitere schon angesprochene Haltungen maßgebend. Wie die Eltern in die Situation gekommen sind, in der sie sich jetzt befinden, und wie sie zu einer eher kindgerechten Haltung kommen, das heißt, wie sie Lösungen finden, können die Eltern nur selbst wissen. Das eine andere Art der Kommunikation und des Umgangs mit dem jeweils anderen besser die Bedürfnisse aller Beteiligten be- friedigen kann, können die Beteiligten nur selbst erfahren. Erfahrungen bestim- men das Handeln des Menschen und nur Erfahrungen können auch dieses ver- ändern.


6 Zum Schluss


In Sorge-, Umgangs- und Kindeswohlverfahren vor Familiengerichten besteht die besondere Situation, dass sich die professionellen Helfer, insbesondere der Sachverständige, in einem System befinden, in dem ein Konflikt zwischen zwei Menschen über einen dritten Menschen ausgetragen wird. Ein Arbeitsmodell, dass nicht nur systemische Techniken aufgreift, sondern systemisches Denken und Fühlen als Basis benutzt, ist meiner Meinung nach das einzig nützliche für Kinder und Eltern. Es reduziert die Beteiligten nicht auf bloße Merkmalskate- gorien von »gut und böse«, sondern gestaltet mit den Beteiligten konsensuelle Lösungen. Um so zu arbeiten, ist Sachverstand notwendig. Dieser ist schwer autodidaktisch zu erreichen. Dazu bedarf es neben systemischen Kenntnissen weiteren Fort- und Weiterbildungen.


1 In vielen dieser Settings wird der Fokus auf das Aushandeln von »Begehrlichkeiten« gelegt, ohne die Eltern zuvor in die Lage zu versetzen, überhaupt »verhandlungsfähig« zu sein. Die Eltern berichten dann von Beratern, die sie »nicht verstehen wollten«, und Berater berichten über »beratungsresistente« Eltern.


2 Damit ist ein Phänomen aus dem Bereich der Quantenmechanik gemeint. Zwei verschränkte Teilchen können in diesem Zustand nicht mehr einzeln mit definierten Zuständen beschrieben werden. Sie stellen ein System dar und nur dieses kann in seinen Zuständen beschrieben werden.


Literatur


Bateson, G. (1981). Ökologie des Geistes. Frankfurt: Suhrkamp.


Behrend, K. (2011). Das Gutachten als Lösungshilfe bei Sorge- und Umgangsrechtsstreitigkeiten nach Trennung. In K. Menne, M. Weber (Hrsg.), Professionelle Kooperation zum Wohle des Kindes (S. 191). Weinheim: Juventa.


Bergmann, E., Jopt, U., Rexilius, G. (Hrsg.) (2002). Lösungsorientierte Arbeit im Familienrecht. InterventionbeiTrennungundScheidung. Köln:BundesanzeigerVerlag.


Brickenkamp, R. (2002). Handbuch psychologischer und pädagogischer Tests (3. Aufl.).Göttingen: Hogrefe.


de Shazer, S. (2011). Mehr als ein Wunder: Lösungsorientierte Kurztherapie heute (2. Aufl.). Heidelberg: Carl-Auer.


Glasl, F. (2011). Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater (10. Aufl.). Bern: Haupt.


Görnitz, T. (2006): Der kreative Kosmos: Geist und Materie aus Quanteninformation. Heidelberg u. Berlin: Spektrum.


Jopt, U. (2012). Lösungsorientierte Begutachtung aus systemischer Sicht. Zur Rolle der Psychologie im Familienrecht. (unveröffentlicht).


Minuchin, S. , Fishman, H. C. (1985). Praxis der strukturellen Familientherapie (2. Aufl.). Freiburg: Lambertus.


Offe, H. (2009). Lösungsorientierte Sachverständigentätigkeit im Familienrecht. Praxis der Rechtspsychologie, 19 (2), 232 – 244.


Rogers, K. (1983). Therapeut und Klient : Grundlagen der Gesprächspsychotherapie (20. Aufl.). Frankfurt: Fischer.


Salzgeber, J. , Fichtner, J. , Bublath, K. (2011). Verschriftung bei einer lösungsorientierten familienrechtspsychologischen Begutachtung. Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe, 9, 338 – 343.


Schlippe, A. von (1981). Familientherapie im Überblick. Paderborn: Junfermann. Schlippe, A. von, Schweitzer, J. (2007). Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung (10. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.


Wagner, W., Balloff, R. (2009). FamFG und Sachverständigentätigkeit. Praxis der Rechtspsychologie, 19 (2), 263 – 281.


Wienands, A. (2005). Choreographien der Seele. Lösungsorientierte Systemische Psycho-Somatik. München: Kösel.


Wienands, A. (2008). Perspektiven systemischer Praxis. Lehrbuch der Gesellschaft für systemische Therapie und Beratung. Berlin: Berliner Systeme Verlag.


Zütphen, J. (2010). Psychologische Begutachtung im Familienrecht. Effekte entschei- dungsorientierter vs. lösungsorientierter Begutachtung auf die Trennungsfamilie; Erfahrungen und Ansichten aus Elternsicht. Bielefeld: Universität Bielefeld.

"Der systemische Gutachter"


Mike Lehmann

Der systemische Gutachter?


Mike Lehmann


KONTEXT 43,1, S. 1 – 15, ISSN 0720-1079 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2012



Berlin, 24.02.12